La STPO – L’oeil au centre de l’oeil
Diesmal ging es etwas schneller: Nur dreieinhalb Jahre nach „Romanciel“ erschien im Herbst 2025 mit “L’œil au centre de l’œil” ein neues Album der französischen Schrägrocker La Société des Timides à la Parade des Oiseaux.
La STPO, wie man sich auch kurz bezeichnet, bieten darauf im Prinzip die gleiche Musik wie auf den vorangegangenen Alben, und das ist auch gut so, denn es ist wieder ein großartiges Album geworden. Einen schrägen, oft geradezu wüsten Experimentalrock präsentiert uns die fünfköpfige Formation, der von den kantigen Einwürfen der Gitarre und Pascal Godjikians unvergleichlicher Stimmkunst dominiert wird. Neben derb rockenden Passagen, in denen die Gitarre bisweilen Erinnerungen an King Crimson aufkommen lässt, finden sich aber auch immer mal sanftere Passagen von betörender Schönheit eingestreut. Dann bildet die Gitarre zarte Geflechte, weitere Instrumente sorgen für klangliche Abwechslung, etwa die Violine in “La Japathèque“, die ätherisch schwebenden Synthieklänge in “Moïse & Aaron” oder auch das häufig eingesetzte Xylophon. Die Musik kann dabei abrupt zwischen diesen Extremen wechseln.
Sänger, oder besser: Stimmakrobat Pascal Godjikian lässt sein Organ wieder allerlei Kapriolen schlagen, die von Grunzen über Röcheln, Würgen, Bellen, Zwitschern und Schreien reichen. Manchmal stößt er nur bedeutungslose Silben aus, manchmal einzelne Wörter oder kurze Sätze, und man fragt sich, ob der Klang der Wörter letzten Endes wichtiger ist als ihre konkrete Bedeutung. Häufig wirkt die Stimme jedenfalls eher wie ein weiteres Instrument. Ihren Höhepunkt erreicht diese stimmliche Exaltiertheit im – mit knapp sieben Minuten kürzesten Stück – “Tabous“, wo Pascal Godjikian zu eher dezenter Begleitung sich praktisch nur auf das rhythmische Ausstoßen von Lauten beschränkt.
Mit ihren schrägen, zwischen lärmend und sanft wechselnden Klangkonstrukten von “L’œil au centre de l’œil” zeigen La STPO nicht nur, dass sie nach wie vor zur Speerspitze des Avant-Prog gehören, sie unterstreichen auch erneut ihre Einzigartigkeit. Denn auch wenn hin und wieder King Crimson durchschimmern oder auch Bands wie Pere Ubu, deren Frontmann David Thomas seine Stimme ebenfalls auf extravagante Art einsetzte (wenn auch längst nicht so radikal), so bewohnen La STPO doch ihr ganz eigenes musikalisches Universum. Ein großartiges Album, einer der Höhepunkte des Prog-Jahres 2025!
13/15
Jochen Rindfrey (Baby-Blaue) 18/10/2025
Nach “Romanciel” (2022) offeriert Alma De Nieto von LA STPO nun auch L’oeil au centre de l’oeil (DNN 046 C). An Bass, Violine & Melodica der phantastische Sébastien Desloges, an Drums & Percussion der unersetzliche Patrice Babin, an Guitar der einzigartige JimB, an Keyboards & Synth der liebenswerte Christophe Gautheur. Und Voice & Lyrics wieder unser einzigartiger Pascal Godjikian. Um durch die Pupille in See zu stechen. Als Fracht die beim Freakshow-Artrock Festival 2023 bereits ausgebrüteten Überraschungseier: ‘La Japanatheque‘: BabaBabaBaba, knurriger Bass, Knüppelbeat, heulende Gitarre, die Rhythmik ostinat repetiert. Pascal singt guttural und als Kastrat mit hysterischem Touch, zu schillernden Keys, Dampforgel, Trommelgewirbel. Er lacht HiHiHiHaHaHa, die Gitarre flimmert. Ridiri-A-A-Ah, die Stimme eskaliert, die Geige setzt ein, fiebert zu Glockenspiel, der Bass bratzt träge, Pascal schreit!. ‘L’immortinaliste‘: Die Geschichte eines Unsterblichen… Mit Treppauf-Gitarren-Noise, Tremolo. Pascal singt pathetisch zu einem halben Groove, er deklamiert feierlich zu einem mittelalterlichen Reigen. Sébastien bläst Melodica zu Trommelwirbeln, Pascals Lippen brodelnd, die Gitarre wetzt zu heftigen Beats. Ein Groove hinkt, eine Fliege surrt, Pascal singt absurd zu trägem, zart bebendem Flow. ‘Tabous‘: Nach Sigmund Freud. Voller Spott, mit Hatschi-Mitschi und BumBumBum-BumBumBum-Bass. Das Becken crasht, der Bass knurrt, Babin glockenspielt, die Band träumt, die Zeit läuft rückwärts. Pascals beschwört zu Triolen der Geige rhythmisch Tabus. ‘Exagéré‘ (Pascal: Ich übertreibe gern): Und er tut’s, zu hüpfendem Piano und Bass, mit spitzer Vokalisation. Zu einem vom Piano zerkrachten Drehwurm-Groove geht Steinschlag ab. Pascal verfängt sich in einem unaufhörlichen Locked Groove mit Jim B. Bis er sich endlich mit zarter Kopfstimme befreit, zu Bass und träumerischer Gitarre. Doch erst nach noch einem Drehwurm entschwinden sie alle in knurrigem Dunkel. On top: ‘Moise & Aaron‘. Ich pawlowe „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ – denn Moses’ Zunge ist (bei Schönberg) ungelenk: Die Gitarre eröffnet zart, Bass und Drums folgen rabiat, Pascal repetiert Mitutadu-SaySaySay (ah, das war doch eine der Zugaben beim Festival). Sein Mundwerk tanzt Walzer zu Keys, Bass, Geklöppel und röchelnder Gitarre. Pascal hechelt zu geigerischer Fata Morgana, stottert und hurzt zu geschlagener Gitarre, zu Synthsoundgespinst, Glockenspiel. Hinein in einen Loop mit erst fragiler, dann kräftiger Gitarre – rund ums Goldene Kalb? Zu nochmal 1-2-3-Bass, gutturalem Sang, Gitarrensound und polternden Drums streben sie nach Milch und Honig. Doch nur die Sehnsucht leckt auch daran. Ich bleibe dabei, die beste Band, die ich kenne.
Rigobert Dittmann (Bad Alchemy 130) October 2025